Geht das eine ohne das andere?

Während meiner Dienstzeit an Bord von Minenjagdbooten der Marine kam es immer mal wieder zu zum Teil frotzelnden, zum Teil ernst gemeinten Diskussionen, ob ein Schiff ohne Nautiker oder ohne Techniker fahren könne. Meistens setzten solche philosophischen Betrachtungen entweder dann ein, wenn ein Anlegemanöver eines unerfahrenen Wachoffiziers „suboptimal“ verlaufen war oder wenn trotz vorheriger Seeklarmeldung kurz nach dem Ablegen ein Diesel mangels korrekt hergestellter Kraftstoffzufuhr seinen Dienst quittierte.

Die Techniker, aus uralter Dampfschifftradition liebevoll Heizer genannt, waren dann in der Regel der festen Überzeugung, dass es ja wohl nicht so schwer sein kann, ein Schiff von A nach B zu bringen. Die alten Wikinger sind schließlich auch ohne moderne Navigationshilfsmittel über den Nordatlantik gekommen. Insbesondere die Wachoffiziere und jungen Wachoffizieranwärter sahen wiederum keine Schwierigkeiten darin, die Antriebs- und E-Diesel betriebsbereit zu machen und sie zu starten, um das Schiff bewegen zu können. Ergänzend dazu muss gesagt werden, dass jeder Anwärter eine Art Kurzpraktikum in der Schiffstechnik machen musste, um seine WO-Befähigung zu bekommen. Während dieses Ausflugs in die dunklen Katakomben unterhalb der Wasserlinie musste er u. a. einen Diesel seeklar machen und ihn anlassen können. Meistens war es den zukünftigen Wachoffizieren aber zu laut, zu heiß und zu ölverschmiert in den Maschinenräumen, so dass diese Pflichtübung mit Ach und Krach absolviert wurde, ohne dass von den erlernten Fähigkeiten etwas allzu lange in Erinnerung blieb.

Natürlich waren solche Dispute vollkommen sinnfrei, weswegen sie nach einiger Zeit des wohlwollenden (oder genervten) Überhörens vom Kommandanten mit diplomatischem Fingerspitzengefühl beendet wurden, indem er sagte, dass kein Funktionsbereich ohne den anderen auskommen könne, weil jeder über spezielle Fähigkeiten verfüge, die zum auftragsgerechten, effizienten Betrieb eines Minenjagdboots unabdingbar seien.

Diese „historische“ Diskutierfreude kommt mir häufig dann in Erinnerung, wenn ich die seit einiger Zeit geführte Kontroverse über Management und Leadership verfolge. Bei einigen Beiträgen drängt sich mir der Eindruck auf, dass der eine oder andere Diskussionsteilnehmer tatsächlich glaubt, es könne entweder nur mit Management oder nur mit Leadership gehen. Ich persönlich halte eine solche Polarisierung für abwegig und nicht zielführend.

Wie bei einem Minenjagdboot der Marine muss ebenso bei jedem gewerblichen Unternehmen der Fokus auf den Auftrag (oder von mir aus, den Sinn bzw. die Daseinsberechtigung) gelegt werden. Und dabei gilt es – auch wenn es nicht jedem gefallen mag – nüchtern festzustellen, dass es nicht der Sinn eines Gewerbebetriebes ist, dessen Mitarbeiter glücklich zu machen. So wie es der Auftrag eines Minenjagdbootes ist, Minen aufzuspüren und zu bekämpfen und dadurch Seewege passierbar zu halten bzw. zu machen, so ist es der originäre Sinn von gewerblichen Betrieben, Gewinne zu erwirtschaften. Wer das ignoriert oder auch nur versucht zu relativieren, lebt in einer unrealistischen Traumwelt.

Um Gewinne zu erwirtschaften, ist es zwar unerlässlich, ein inspirierendes, zum Erbringen von (Höchst-) Leistungen motivierendes Arbeitsumfeld zu schaffen, das Potenzial von Menschen zu erkennen und weiterzuentwickeln sowie möglichst eine transformationale Führung zu praktizieren, aber das alleine reicht nicht aus. Damit gewerbliche Unternehmen dauerhaft auf Erfolgskurs gehalten oder wieder auf einen solchen Kurs gebracht werden können, sind ebenso Management-Skills bzw. -Methoden erforderlich. Ohne analytische Fähigkeiten und Instrumente, ohne eine betriebswirtschaftlich sinnvolle Organisation von Prozessen, ohne vorausschauende Planung von Kapazitäten, Liquidität, Umsatz etc. und ohne dem Unternehmenszweck dienliche Strukturen wird es nicht gehen. Kurzum: die „klassische“ Betriebswirtschaft, das „klassische“ Management (und damit auch die oft gescholtenen Kennzahlen) haben nicht ausgedient.

Wenn das eine ohne das andere nicht funktioniert, dann ist die logische Konsequenz, dass beides sinnvoll miteinander zu verknüpfen ist. Genauso wie auf einem Minenjagdboot die Fähigkeiten aller Besatzungsmitglieder unabhängig von ihrer Verwendungsreihe wie Zahnräder ineinandergreifen müssen, damit der gestellte Auftrag erfüllt werden kann, so müssen sich in Gewerbebetrieben Management und Leadership nicht nur gegenseitig ergänzen, sondern regelrecht befruchten, um dem Unternehmenszweck gerecht zu werden und gleichzeitig den Mitarbeitern eine sinnstiftende, motivierende Arbeitsumgebung zu bieten, die sie als lebenswert empfinden und in der sie ihr individuelles Leistungspotenzial voll entfalten können. Kurzum: erfolgreiche Führungspersönlichkeiten vereinen gleichermaßen Manager- wie Leader-Qualitäten. Beide Fähigkeiten gegeneinander aufzuwiegen oder gar auszuspielen ist ein Irrweg, der jedem unternehmerischen Erfolg entgegensteht.

Illustration aus „Bordbuch eines Minensuchers“ (1987) von R. Stöhr & R. Götsche